Der ultimative TSC-Labskaus-Vergleich

"Was wird denn das?" fragte die Kassiererin mit arabischem Migrationshintergrund am frühen Samstagnachmittag bei Real in den Borsighallen. Dabei schaute sie Kai und Jessi mit einer Mischung aus Verwunderung und Abscheu an. Sie hatte gerade 7,5 kg Kartoffeln, 2 kg Zwiebeln, 3 Gläser Gewürzgurken, 50 Eier, 8 Gläser Rote Beete, 6 Gläser Rollmops und zu allem Überfluss auch noch 12 Dosen Corned Beef über den nicht minder verwirrten Scanner gezogen. "Äh ja, das verkochen wir gleich." antwortete Kai leicht geistesabwesend, mehr mit dem Einpacken der Ware in den Wagen beschäftigt.

Diese Antwort, gekennzeichnet durch die ungenügende Multitaskingfähigkeit des Durchschnittsmitteleuropäers männlichen Geschlechts, führte dementsprechend zu keiner Aufklärung der Nah-Ost-Gesichtszüge. Erst als Jessi mit "Das wird Labskaus für 40 Personen..." aushalf, erwachte das Verständnis im arabischen Hirn. Jedoch bei der Vorstellung einer homogenen Mischung dessen, was da gerade das schwarze Transportband verlassen hatte, schwang dieses augenblicklich in eine Form des jähen Entsetzens um. Die innere Simulation der Ramadan-erprobten Geschmacksknospen tat sein übriges. Mit Kopfschütteln, Stirnrunzeln und unterdrücktem Würgereflex wurde kassiert.

Unbeeindruckt von diesen interkulturellen Unstimmigkeiten erreichten Kai und Jessi pünktlich um 15 Uhr die heiligsten Hallen des TSC und wuchteten die schwere Kiste der Einkäufe in ebendiese, vorbei an den skeptischen Blicken von Frau Düren, die die nicht ganz unbegründete Vermutung äußerte, dass die schöne Küche des TSC nunmehr in eine marokkanische Würfelbude verwandelt würde. Ob sie die Kassiererin von Real kennt? Allgemeine Verwirrung.

Jessi startete umgehend. Unter tatkräftiger Mithilfe von Frau Düren und Irmingard Mannl wurden die Kartoffeln geschält. Kai startete inzwischen mit dem Schälen und Hacken der Zwiebeln, was zum einem für den Rest des Tages zu einem geruchsintensiven Händedruck und zum anderen zur Transformation des stellvertretenden Wettfahrtleiters, einem Mann im besten Alter, sturmerprobt und wettergegerbt, in die Heulboje vor Stollergrund führte.

Inzwischen war Peter eingetroffen und wuchtete mit Renate einen nicht minder großen Korb wie die vorher beschriebene Kiste auf die Arbeitsplatte der Küche. Auch hier begann man umgehend mit der Arbeit. Zuerst wurden die Tische im Saal verpaart und jeweils 8 Stühlen drumherum drappiert. Dann wurden sie mit weißen Tischdecken bedeckt und kleinen Papierschiffchen verziert, die Peters Enkel fleißig gefaltet hatte (Peter ließ durchblicken, dass er zu solch puzzelliger Kleinarbeit nicht fähig sei). Auf jeden Platz kam natürlich auch die Speisekarte, die die signifikanten Unterschiede der zwei Labskaus-Essen von Peter und Kai darbot. Renate eilte sodann in die Küche. Es gab süß-sauren Hering, dänische Gürkchen und Rote Beete verstreut auf viele, viele kleine Schälchen, die auf den Tischen verteilt wurden. Verwirrt besah sich Elke das Treiben in ihrem sonstigen Wirkungsgebiet und überzog die Mannschaft mit einem Blitzlichtgewitter, um den Sachverhalt für spätere optionale Regressforderungen zu dokumentieren.

Der geneigte Leser mag sich fragen, wozu diese Arbeitswut entfesselt wurde, was ein halbes Dutzend TSCer dazu zwang, sich in Schürzen zu stürzen und in ungewohnter Umgebung, schwitzender Weise einen unaufgeforderten Arbeitsdienst zu verrichten. Dieses Verhalten ist durchaus untypisch für den Durchschnitts-TSCer, der sich bekanntermaßen lieber am runden Tisch bei Kugel und Rotwein über Riesenstürme, Monsterwellen, Sinnflutregen oder walgroße Dorsche, natürlich alles selbst erlebt, gesehen und gefangen, auslässt. Doch an diesem Nachmittag war vieles anders und das lag am Event des Januars, dem großen Labskausvergleichskochen zwischen Peter und Kai.

Im Mai 2006 waren zwei TSC Crews auf zwei Bavaria 38 durch die Ostsee gekreuzt. Unabhängig wurde auf beiden vom Smut of the day Labskaus gekocht, einmal von Peter und einmal von Kai. Natürlich entbrannte ein erbitterter Streit darüber, welches das bessere sei. Keiner der Kontrahenten wollte zurückstecken. Es wurden alte Rezepte von Dorfältesten, auf dem Sterbebett verraten, ins Feld geführt und der Opa aus Wilhelmshaven beschworen. Nach Ende des Törns wurde die Auseinandersetzung im Club-Rundschreiben fortgeführt und hier kam die Lösung für den Konflikt. In einem Kochduell müssen die beiden Rezepte gegeneinander antreten, Peter gegen Kai. Eine unabhängige und unerbittliche Jury sollte die Frage nach dem besten Labskaus des TSC klären. Und so wurde eingeladen und eine Gästeliste mit insgesamt knapp 40 Gästen erstellt, die in den Genuss des lukullischen Highlights 2007 kommen sollten.

Die Vorbereitungen liefen weiter, in einem gigantischen Topf kochten Kais Kartoffeln, während Peter in einem nicht minder großen Küchenutensil seinen Kartoffelbrei schon mit dem Corned Beef vermengte. Jessi mischte inzwischen den Sud aus 2kg Zwiebeln mit der zweiten Charge Corned Beef. Man mochte schon erahnen, dass das Ergebnis sicher auch ohne funktionstüchtiges Gebiss zu verzehren wäre. Unter großen Anstrengungen und unter den wachen und strengen Augen von Frau Düren wuchtete Kai den Kartoffeltopf auf den Ausguss und goß die Kartoffeln ab. Dampf umgab ihn, als er nach dem Stampfer griff und aus Salzkartoffeln die Grundlage für seine Labskausspezialität machte. Derweil rührte Peter den ersten Eisbergsalat in seine Kartoffel-Corned-Beef Masse. Es roch gar lecker. Nach der "Hochzeit" bei Kai, in der er weniger an Jessi dachte, was er ja sonst nahezu ständig tut, sondern mehr an die Vereinigung des Zwiebel-Corned-Beef Suds mit den Kartoffeln, waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Es fehlte noch ein wenig Rote Beete Saft für die rosa Farbe. Die marokkanische Würfelbude war glücklicherweise ausgeblieben, was die Chefs der Hallen in ihrem ägyptischen Exil sicherlich ebenso erfreute wie die hilfsbereite Frau Düren.

Nun konnten die Gäste kommen. Und das taten sie auch. Kurz nach sechs standen die hungrigen Juroren samt Begleitung zur Verköstigung bereit. Die Berechtigung zur Abstimmung war nicht kostenlos, doch die Einnahmen gingen abzugslos in den Fond zur Förderung des Seesegelns des TSC. Das half die finanzielle Kleinkrise zu akzeptieren.

In der Küche wurden in wenigen Minuten 40 Spiegeleier gebraten, wobei sich Jessi als extrem lernfähig und hochbegabt erwies. Das Ei des Jahres ging somit an die Wettfahrtleitern des TSC! Derweil begrüßte Peter die Anwesenden und führte ihnen nochmals die Wichtigkeit der ihnen übertragenen Aufgabe zu. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie mit Ihrer Entscheidung nicht nur einen der größten Konflikte des TSC in 2006 schlichten konnten, sondern zudem auch das Leben eines Clubkameraden retten würden. Denn was bliebe den beiden Kontrahenten sonst, als das althergebrachte Duell? Dass Peter während seiner Rede versuchte, die Zuhörer zu beeinflussen und auf die Seite seines Gerichtes zu ziehen, muss wohl, mit Verlaub, in den Bereich der Legende verwiesen werden.

Dann kam Peters Gericht auf den Teller. Mit vielen helfenden Händen erreichten die Portionen in kürzester Zeit die wartenden Bestecke der ungeduldigen Gäste. Zunächst wurde skeptisch geschaut, was das denn wohl für ein Pamps sei, doch ergriff schnell gespenstige Stille den Saal. Man hörte nur das Klappern des Besteckes und ein wohlwollendes "Hmmm…" aus vielen vollen Mündern, als Ausdruck eines großen Geschmackserlebnisses.

Schnell waren die Teller geleert und von den Gästen befreit. Derweil bereitete Kai mit Elke eine zusätzliche Gaumenfreude vor: Zu einem Labskaus gehört Aquavit, wie zum TSC das Trullala und zu Norddeutschland der Urlaubsregen. Doch der, den Kai aus seiner salzwässrigen Heimat mitgebracht hatte, war schon was Besonderes: Kieler Sprotte Aquavit. Er wird einmal durch die Kieler Förde geschippert und zurück, das gibt sein besonderes Aroma. Eiskalt glitt der Kümmelschnaps die Kehlen hinab und machte bei vielen Genießern Lust auf mehr.

Inzwischen hielt es Reinhard Delmas nicht mehr am Tisch. Er wechselte kurzerhand auf den Klavierhocker und stimmte norddeutsches Liedgut an. Stimmkräftig fielen Winne, Michael Dzembritzki und Kai mit ein. Und dann ließ der ganze Saal den Hamburger Veermaster auslaufen.

In der Küche gingen derweil die Vorbereitungen für die zweite Runde ins finale Stadium. Wieder spiegelte Jessi die Eier und Kai war auch endlich mit der Temperatur seines Labskaus zufrieden. Die inzwischen erprobten helfenden Hände hatten inzwischen Gurke, Rote Beete und Rollmops auf den Tellern angerichtet. Ein guter Klacks Labskaus und Ei hinzu, fertig war der Herausforderer. Wieder erfüllte kalorienaufnahmebedingtes Schweigen den großen Saal des TSC und mancher Juror versank in eine nachdenkliche Starre. Wie sollte er werten, Peter oder Kai, Kai oder Peter? Schwer, schwer, schwer...
Die zweite Runde Kieler Sprotte verlief ebenso mild, wie die erste, so dass sich mancher spontan zu der Idee entschloss, im Laufe des Abends noch die eine oder andere Runde folgen zu lassen. Reinhardt griff erneut in die Tasten, der TSC-Chor in Status nascendi fiel ein und laut ertönte die Geschichte von Harung und Flunder.

Dann bat Kai um Ruhe und eröffnete mit kurzen Worten den für die meisten wohl schwierigsten und zugleich literarischen Teil des Abends. Er trug den ersten Teil der Schöpfungsgeschichte in Gedichtsform vor. Soweit mag es für so manchen TSCer schon herausfordernd genug sein, denn schließlich hatte die Lektüre beliebig wenig mit der sonst gewohnten windgetriebenen Fortbewegung auf dem Wasser zu tun, noch erfreute sie der Vortragende mit erklärenden Bildern. Doch was die Berliner Süßwasserakrobaten zur schieren Verzweiflung trieb war die Sprache. Kai ließ es sich natürlich nicht nehmen in seiner ureigensten Heimatsprache, also auf plattdeutsch, zu rezitieren. Das verwunderte nicht nur die Zuhörer, sondern ebenso den Vortragenden, der sich mehrfach fragte, warum immer an den verkehrten Stellen gelacht wurde. Und obwohl viele der vielleicht doch etwas selbstüberschätzenden Ansicht waren, wenigstens einen Teil verstanden zu haben, brachte Paul es mit den geraunten Worten "Worum ging es denn eigentlich gerade?" vermutlich am besten auf den Punkt.


Es war Zeit für die Abstimmung und wer konnte dieses besser organisieren und durchführen, als der Edel-Abgeordnete Detlef Dzembritzki? Dieser legte zunächst fest, dass nur die männlichen Gäste stimmberechtigt seien; das wurde zumindest vom halben Saal durchaus positiv aufgenommen. Weiterhin erklärte er die Abstimmung per Hammelsprung durchzuführen. Dazu bat er die verehrten Gentlemen in die Veranda und ließ sie unter den wachsamen Augen des weiblich dominierten Wahlausschusses durch je eine der beiden Türen, die für die beiden Kombattanten Kai und Peter standen wieder in den Saal zurückkehren. Und während die 4 Köche Peter, Renate, Kai und Jessi sich noch bei den ideellen Förderern Elke und Frau Düren mit Sekt bedankten, errechnete das Wahlkomitee das vorläufige amtliche Endergebnis.
Kai und Peter wurden zur Verkündung hinzugeholt. Detlef setzte eine wichtige Miene auf: "Von 18 abgegebenen Stimmen waren 18 Stimmen gültig. Auf den Kandidaten 1, Peter Reckmann, entfielen 9 Stimmen und auf den Kandidaten 2, Kai Jürgens, ebenfalls 9 Stimmen. Damit herrscht Gleichstand!" Lauter Jubel beendete seine Rede.

Während der Abend mit weiterem Gesang eines hervorragend aufgelegten Reinhard weiterging, wurde am Runden Tisch unter zu Hilfenahme einiger Kieler Sprotten diskutiert, wie das Ergebnis zu interpretieren sei. Am Ende wurde klar, die Kassiererin mit Migrationshintergrund würde durch eine jährliche Wiederholung des Events sicherlich besser in die deutsche Gesellschaft integriert, als durch alle politischen Bemühungen.

In diesem Sinne werden wir uns das mitunter liebevoll als Kombüsenreinschiff betitelte Geschmackserlebnis sicherlich noch öfter zuführen.

Das Kochteam bedankt sich bei allen die uns so nett in der Küche unterstützt haben!

Kai Jürgens