Silvester ist ja eigentlich mehr eine Art Schicksalsschlag denn ein Grund zu feiern. Jedes Jahr ziemlich genau eine Woche nach Weihnachten droht uns dieser Event mit nahezu boshafter Berechenbarkeit. Und man kann sich nicht dagegen wehren. Es gibt im Laufe eines Jahres ja nun viele solcher Feiertage, man denke ja nur an Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Doch diese sind im Vergleich harmlos, lassen sie sich doch erfolgreich ignorieren, was zwar den örtlichen Geistlichen nur bedingt erfreut, aber im Hinblick auf eine extra Portion Morgenschlaf oder eine schöne Piraten- und 420er-Regatta durchaus hinnehmbar ist.
Auch die politisch verordneten Freudenfeiern am 1. Mai oder 3. Oktober zeichnen sich eher durch verstärkten Alkoholkonsum am Vortag als denn eine wirkliche Auswirkung auf den einzelnen aus, außer natürlich, wenn man auf dem Molotow-Cocktail verseuchten Prenzlberg wohnt oder den notorisch gesperrten 17. Juni befahren will. Bleiben schließlich die persönlichen Jubeltage wie Geburts- oder Namens- oder Hochzeitstage. Letzterer ist gerade für die maskuline Seite der verehrten Leserschaft oftmals alles andere als harmlos, scheint doch dieser Tag das implizite Risiko zur geschlechtsspezifisch selektiv vorsätzlichen und nicht-vorsätzlichen Ignoranz zu besitzen. Sieht man also von solchen je nach Ausprägung nudelholz- scheidungsbedrohten Einzelfällen ab, sind auch diese Feiertage entspannend, denn schließlich hat man es selbst in der Hand, in welchem Umfang man sich einer Feier hingeben möchte.
Anders liegt der Fall bei Silvester. Hier ist Feiern Zwang. Man mag das Gefühl nicht ablegen, dass Silvester als Erfindung der Firmen Comet, Moet Chandon und Henkell, nur deswegen Bestand hat, um der Charité Notfälle und den Anonymen Alkoholikern Mitglieder zuzuschanzen. Dabei ist die zeitliche Lage des Events alles andere als glücklich. Da die Erde ja eine ellipsoide Bahn um die Sonne zieht und diese wie bei jeder kreisförmigen Bewegung keinen Anfang und Ende hat, könnte man ja jeden beliebigen Zeitpunkt als Jahresende festlegen. Gut, man mag es noch vernünftig finden, das Tagesende, also Mitternacht, als kritische Tageszeit zu definieren, schließlich harmonisiert dieses dann auch mit der Sichtbarkeit der abgeschossenen Explosivkörper aufgrund der durchaus zu erwartenden Unsichtbarkeit des alles überstrahlenden Himmelsgestirns. (Sieht man mal von den unglücklichen Bewohnern ferner Länder jenseits der Polarkreise ab, die von permanenter Hellig- bzw. Dunkelheit betroffen sind. Aber auf Einzelschicksale kann bei einem solch wichtigen Event natürlich keine Rücksicht genommen werden.) Der ausgewählte Tag jedoch ist mehr als unglücklich. Kaum der hektischen und nicht minder sinnfreien Geschenkekaufwut der ersten Dezemberwochen entronnen, sehnt sich so manches Girokonto nach erholsamen Tagen und nicht nach den ungedeckten Ausgaben für Böller, Berliner und Besäufnis. Ebenso ist auch der humane Geisteszustand kaum in der Lage nach der massiver Häufung von belagerungsartigen Zuständen durch Onkel, Tanten, Nichten, Neffen, Großcousinen und vor allen Dingen Schwiegermüttern, mehr als zwei Sätze korrekt zu verarbeiten, die nicht mit „Früher war alles besser,...“ oder „Du bist aber gewachsen,...“ beginnen. Eine Silvesterfeier, bei der sich das Gehirn nicht nur mit der eigenen, durch die geplante und verordnete Jahresendalokoholvergiftung initierte, unzureichender Ressourcenqualität herumplagen darf, sondern auch noch die mangeln psychomotorisch-linguistischen Fähigkeiten des Gegenübers zu kompensieren hat, ist daher als mega-kontraproduktiv anzusehen. Dialoge á la Freddy Frinton, dem heimlichen Silvester-All-Star, wie „Glglgla, glagla prettiest wommmmannn, glglgl, ev’r breathhhh...“ erscheinen somit unausweichlich. Außerdem gibt es ja auch noch das leidige Körperfettproblem. Während man vor den Weihnachtstagen durch den schon beschriebenen Geschenkekaufstress sicher etwas gegen die Schwimmringe und für einen gut dimensionierten Quadrizeps getan hat, hat die gesellschaftspolitisch verordnete Kalorienzuführung diese Bestrebungen wieder zunichte gemacht. Während sich der Körper somit eher nach einem Ergometer oder einem Laufband sehnt, sind silversterbedingte Katervernichtungsstunden auf dem Sofa angesagt, was so gar keinen positiven Effekt auf die körperliche Attraktivität bedingt.
Nun gut, Silvester muss man als kritisches Fest betrachten. Dabei kommt hinzu, dass man ja feiern muss, will man sich der ketzerischen und mitunter fast neidischen Frage der Freunde, Verwandten oder Arbeitskollegen, was man denn an Silvester gemacht hätte (oder in der neudeutschen Version: Hey-jo man, biste chillich reingeslidet?), nicht durch komplette soziale Inkompetenz outen müssen, indem man antwortet "Ach weißt Du, wir haben ein Gläschen alkoholfreien Sekt genossen und waren dann um 23:17 im Bett." Um dieses zu umgehen feiert man, so aus zwanghafter sozialer Notlage heraus. Und zum Feiern gehört eben auch eine Feier. Jedes Jahr ist es das selbe, dass man sein mit der Verdauung der Weihnachtsganz noch völlig ausgelasteten Hirn mit der Frage nach einer passenden Location belästigt. Um eine Überlastung zu vermeiden, antworten die meisten deutschen Hirne mit dem Standardsatz: Da, wo wir auch letztes Jahr waren. Wobei hier oftmals das Problem des alkoholbedingten Vergessens die Antwort per se ad absurdum führen kann.
Und so gab es auch im TSC wieder eine Silvesterparty. Same procedure than every year? Es mag von außen betrachtet so erscheinen: Mit 35 Personen war der Kreis vergleichbar und überschaubar wie auch in den Vorjahren. Viele potentielle Verstärkungskräfte waren ja auch schon bald traditionell dabei, sich über die übliche Leberschädigung hinaus per down-hill acceleartion mehr oder weniger ausgeprägten körperlichen Schaden zuzuführen. Auch andere Dinge waren wie in jedem Jahr, gedeckte Kleidung der meisten Herren, aufreizende Dresses aller Damen. Hinzukommend wurde an den üblichen Gepflogenheiten festgehalten, es gab Berliner (Pfannkuchen werden sie ja nur von den unglücklichen Ureinwohnern der Namen gebenden Stadt genannt; vermutlich weil diese es als persönliche Beleidigung auffassen, dass man ihr eh schon oftmals hitziges Blut als Himbeermarmelade verunglimpft.), Bleigießen und ein wenig Böllerei vom entenkotverseuchten Steg. Was in diesem Jahr jedoch positiv auffiel, war die ausgesprochen amüsante und ausgelassene Stimmung, zu der auch ein hoher Anteil jugendlicher Besucher beitrug. Nach einigen einleitenden Worten von Winne Falkenberg wurde zu den Klängen eines altbekannten und bewährten DJs, der es aufs vortrefflichste verstand, auf die Wünsche seines Publikums einzugehen, das Tanzbein geschwungen. Kurz vor dem finalen Rettungsschuß für das Jahr 2006 führte erneut Winne das TSC-Volk ins neue Jahr, etwas ungewöhnlich doch durchaus unterhaltsam wurde der Übergang des Weltenball vom Ende auf den Anfang der in sich geschlossenen Kreisbahn begangen. Der obligatorische und die Henkell-Aktionäre erfreuende Sektkonsum wurde vollzogen und dann ging die Party erst richtig los. Nach etlichen Side-Step-Schritten und erfolgreich vollzogenen Drehungen, zeigte sich, dass auch eine Muss-Feier durchaus sehr lustig, entspannend und ausgelassen ein kann. Während die meisten Gäste so gegen 2 Uhr ihrem Alkoholabbau das Feld überließen, blieb der harte Kern noch bis nach vier Uhr standhaft und zeigte dem neuen Jahr erstmal, wo es denn langzugehen hatte. Mit dem TSC lassen sich also auch die vermeintlich kritischen Feiern sauber nehmen, ein Dank an die Organisation von Dietmar und die Verpflegung durch Familie Girle.
Kai Jürgens