Segeln ist ein wundervoller Sport. Wind, Wellen und gute Seemannschaft treiben ein Boot voran und bringen es schnell zum ersehnten Ziel. Soweit die landläufige Meinung über die wohl zweitschönste Nebensache der Welt. Doch betrachtet man das Metier etwas genauer, so wird man feststellen, dass auf den Binnenrevieren dieses Verhalten durchaus an seine -geographischen- Grenzen stößt. Die große Fahrt zu neuen Gestanden findet im Nordteil von Berlin ihr jähes Ende and er Spandauer Schleuse und den Brücken in Hennigsdorf. Kaum, dass man endlich das Boot in Fahrt, die Segel getrimmt und den Kurs abgesteckt hat, findet man sich in der tiefgangbeschränkenden Nähe einer Uferböschung wieder, die den kundigen Skipper zu einem mehr oder weniger ungeplanten Manöver zwingt.

Und auch der Neuheitsgehalt dessen, was man auf seinen ausgedehnten Trips über den Tegeler See erblickt, lässt den Segelpassagier nicht gerade zu Kamera und Camcorder greifen: Mal spritzt der Belüfter, mal ist eine neue Holzfassade am Pavillon du Lac und mal sitzt ein unbedarfter Tourist vorm Wasserwerk auf. Die Spannung hält sich in engen Grenzen und die Frage, warum die Menschheit Säckeweise Satelliten ins All geschossen hat, damit kleine batteriebetriebene Plastikkästen die eigene Position auf den Zentimeter genau anzeigen können, stellt sich ebenfalls. "Sie erreichen jetzt den TSC" plärrt der Lautsprecher stolz heraus, während der Skipper sich nur denkt: "Danke, das sehe ich (seit 20 Minuten) auch..." und nach vorne brüllt: "Schatz, Du kannst jetzt festmachen!" All die Errungenschaften der modernen Navigation machen sich bei einer Umfangsdistanz von 19 km, die unsere "betaute Wiese" nun einmal nur hat, geradezu lächerlich. Geht man allerdings durch einen Hafen mit gepflegten Booten, so fällt einem auf, dass auf fast jedem Schiff mit mehr als 5m Wasserlinie, nicht nur ein kleiner Plastikpilz für besagten Weltraummüll in Spe, sondern Radarreflektoren und -schüsseln montiert sind, als wenn die Navigation vom TSC zum SCS nur mit diesen Hilfsmitteln sicherzustellen ist. Leben denn in unseren Vereinen nur elektronikversessene Spielkinder? Nun ja, das vielleicht auch, aber die Bauteile haben ihren Sinn. Nicht hier auf dem See, sondern auf großer Fahrt. Viele von diesen datenbit-spuckenden Gizmos fristen ein die meiste Zeit der Saison ein betrübliches ausgeschaltetes Dasein an Bord und warten auf den großen Moment, wenn sich das Haff oder der Darst zur weiten See hin öffnen und kein Auge mehr von ihnen weicht. Hier auf dem See werden sie sonst nur zur allgemeinen Belustigung auf einer Kaffeefahrt in Betrieb genommen, wie Schade. Und den Schiffen, auf denen sie montiert sind geht es oftmals nicht viel anders. Wie langweilig muss es einer Grenada 31 oder einer Bavaria 31 auf diesem See vorkommen, wenn die Herstellerplakette zwar Klasse A (Hochsee) verspricht, aber Klasse F (kleiner Tümpel) ausreichend wäre.

Ein wenig mehr Spannung ist also von Nöten. Und da wir den See nicht sonderlich vergrößern können, schließlich ist Spandau irgendwie im Wege, bleibt nur die sportliche Herausforderung der Regatta. Hier wird die Strecke dadurch verlängert, dass rote, schwimmende Dinger ins Wasser geworfen werden und alle im Kringel drum rum fahren. Und das möglichst schnell, zumindest schneller als die anderen. Fahrtenschiffe auf Regattakurs. Und das ist der Koffer Cup. Man mag es mit einem Rennen auf dem Nürburgring vergleichen, wo man mit einem voll bepackten  VW Passat Kombi (inklusive Enkelkinder) versucht die Bestzeit zu knacken. Der Koffer Cup, und das wird bei diesem Vergleich klar, ist also eine besondere Regatta, irgendwie die seemännischen Aufgabe Michael Schumacher zu imitieren und dabei das Arbeitsmaterial zu verwenden, was für eine Deutschlandreise unter Besichtigung von Freiburger Münster, Schloss Neuschwanstein und Münchner Viktualienmarkt gebaut wurde.
 
Dass diese Aufgabe für viele Skipper am See spannend und interessant ist, zeigte sich nicht nur, dass der Koffer Cup in 2007 zum 30. Mal ausgetragen wurde, sondern auch daran, dass mit 48 Booten ein im Vergleich zum letzten Jahr um 20% größeres Feld gemeldet hatte. Traditionell am 1. Mai veranstaltet vom SCS, VSS und TSC, war es letzterem in diesem Jahr vergönnt, die Regatta auszurichten. Dabei werden im allgemeinen lediglich zwei Wettfahrten gesegelt, eine auf dem Tegeler See und eine weitere auf der Havel vor dem VSS. Man will es ja nicht übertreiben und Sinn des Koffer Cups ist es sicher nicht, die Yachten (und ihre Crews) bis ans äußerste zu beanspruchen, sondern das gesellige Beisammensein der Fahrtensegler zu fördern.

Und so legte Jessi an Bord der Peterine, die in diesem Jahr als Start- und Zielschiff diente, am Morgen des Tages der Arbeit ab und zauberte mit Kai bei wundervollem Wetter einen schicken Kurs auf den Tegeler See. Der Wind kam aus NW und wehte zunächst noch leicht bis mäßig. Gegen 10 Uhr hatten sich die Teilnehmer ebenfalls versammelt und starteten in drei Gruppen auf den Kurs. Wie in jedem Jahr war die Starthygiene der Boote sehr gut, so dass weder Rückrufe noch Abbrüche zu beklagen waren. Während die Fahrtensegler auf der Jagd nach den Tonnen waren, wurde der Wind zusehends weniger und schralte um bis zu 90°. Das ließ die eine oder andere seewassergegerbte Stirn noch weitere Falten hinzugewinnen. Doch so ist es halt auf dem Binnenrevier: Da kann man nicht einmal die Segel einstellen und in 6 Stunden sind wir in Göteborg, nee, für die lächerlichen 0.768 sm bis zur Tonne  muss man x-mal umlegen und immer kriegt man es auf den Kopf.

Nach vier Runden hatte Jessi ein Einsehen und legte das Ziel an die Luv-Tonne. Erleichtert liefen die Boote ins Ziel und machten sich auf den Weg zum VSS, wo ja die zweite Wettfahrt gestartet werden sollte. Doch so einfach war das nicht. Auf der Havel war noch weniger Wind, als auf dem See. Jessi schickte Kai mit samt des Schlauchbootes Richtung Niederneuendorfer See, doch auch hier das gleiche Bild: kaum ein Hauch kräuselte das Wasser. "Das kann doch nur noch ein Schweinerennen geben!", meinte die Wettfahrtleiterin ernüchtert und griff zur Hupe. Mit drei Schallsignalen wurde die Regatta ohne einen Stehrumski im Schlauch beendet und das Regattafeld zu einer bravourösen Verpflegung bei den Schmöckis entlassen. Inzwischen war auch die Auswertung der erfolgreichen Tonnenrundungsübung fertig: Sieger in der Klasse bis Yardstick 111 wurde Wolfgang Kaplick (SCN) vor Ralf Heim (SSCO) und Hauke Stiehl (TSC). Bei den Booten mit einem Yardstick von 112 und mehr siegte Andreas Schäfer (SSCO) vor Hans-Dieter Mölls (CNFT) und  Eberhardt Schwemme (SCS). Die Gruppe der IF-Boote gewann Günther Nowack (SCS) vor Dietmar Falkenberg (TSC) und Peter Ruppert (SCS).

Man stellt fest, dass bei schönem Wetter auch das Formel 1 Fahren mit einem Passat Spaß machen kann, die Regattasegelei mit Fahrtenschiffen aber sicher viel schöner ist. Wir freuen uns schon jetzt auf den 31. Koffer Cup am 1. Mai 2008!

Kai Jürgens