Nordwind finde ich nicht gut. Ganz ehrlich nicht. Nicht, dass ich irgendein Problem mit einer bestimmten Himmelsrichtung hätte. Ganz und gar nicht. Schon aus Gründen der political correctness kann ich mir so eine Engstirnigkeit gar nicht leisten. Von einem modernen jungen Menschen des 21. Jahrhundert wird schließlich eine ungeheure Flexibilität erwartet.

Hat er denn irgendwann einmal kapiert, wo die Himmelsrichtungen liegen und verwechselt er mit Erreichen der Volljährigkeit dann nicht mehr ständig Ost und West, was man daran erkennt, dass er bei der Bestimmung der aktuellen Ost-Richtung nicht mehr die Augen schließen und mit der linken Hand nach Westen deuten muss, während der Mund ein klares, wenn auch zumeist unhörbares, "W-Ooooo" formt, bevor der linke Arm hochschnellt und die aufgerissenen Augen gebannt und freudig erregt auf das neu entdeckte Osten starren, ja hat er sich denn soweit in das geographische Weltbild integriert, so verlangt die Gesellschaft von ihm sogleich, alle Unterschiede der 4 mühsam gelernten Richtungen zu vergessen. Da darf er sich nicht mehr über die Hautfarbe der Kollegen am Südende, die Wortkarkheit der Nordender, die Beschaffungsgewohnheiten der östlichen Nachbarn oder gar die Weltherrschaftsgebärden der westlichen Kameraden äußern. Er lebt in der Mitte des Koordinatensystems (-natürlich, wo denn sonst-) und somit hebt sich alles auf. Auch das Wertesystem des Betrachters. Was wäre doch diese allgemeine Einheitlichkeit in jeder Lebenslage schön! Wind zum Beispiel: nur aus einer Richtung, Temperatur und Stärke immer gleich. Das würde zwar skipperische Seemannschaft auf das fahrerische Niveau eines BVG-Straßenbahnschaffners reduzieren und somit die Spannung einer Regatta einer Fährüberfahrt von Tegelort nach Spandau gleichsetzen, doch betrachtet man die derzeitige Politikverdrossenheit, so sieht man ja, wo eine geistige Gleichschaltung unter dem Wir-wollen-es-allen-recht-machen-Grundsatz hinführt. Wie gut also, dass sich zumindest der Wind nicht dran hält und von Zeit zu Zeit aus verschiedenen Richtungen weht und somit dem populärpolitischen Einheitsbrei auf der Windrose klare Strukturen gibt. Es ist schon ein Unterschied, ob S oder So, ob W oder NW. Das merkt man nicht nur an der Position des Startschiffs auf dem See, sondern auch an Nebenwirkungen von Stärke, Temperatur und Regengehalt. Das sind schließlich Parameter, die sich weit über jede politische Correctness erheben, führen Sie doch zu verlustig gegangenen Schirmmützen, mittelschweren Erkältungen und dem Abzeichnen von politisch völlig uncorrecten Körperteilen unter durchweichten Kleidungsstücken. Die tägliche Wetterlage führt also die Piep-Piep-Piep-Gesellschaft in eine schwere Kriese. Das Nutzen der Naturgewalten kann somit als ein Auflehnen gegen das Wertesystem der modernen Generation gedeutet werden, als eine meteorologische APO gegen die große Gleichschaltungs-Koalition des beginnenden Jahrtausends. Segeln als politisches Statement. "Hoch! die! Internationale! H-Boot-Klassen-ver-ein-i-gung!" oder "Völker hört die Signale, 5 Minuten bis Start!".

Und bei all diesem progressiven Protest, mag ich keinen Nordwind. Und das hat seinen ganz und gar unpolitischen Grund, denn schließlich bin ich ja hochflexibel, ambivalent und sowieso ein Weichei vor dem polical correctness Herrn. Nordwind schwankt und das is es, was mich nervt. Er schwankt zwischen 300 und 60° und macht somit häßliche Querlinien auf mein Winddiagramm im Internet. Deswegen hasse ich Nordwind. Doch ich werde ihn lieben lernen, denn ich habe schon eine Idee, wie ich das Diagramm ändern
kann und dann passe ich den Nordwind an, politisch hochkorrekt mit megamäßiger Flexibilität und unglaublicher Modernität. Dann ist alles wieder in Ordnung. Wir lieben alle Winde gleich und die Unterschiede sind in die barbarischen Vorzeiten verbannt. Die Zukunft kommt, auch für den Wind, und der TSC ist wie immer ganz vorne mit dabei.

Kai Jürgens