Die Position der WS500

Es gibt schon wichtige Unterschiede zwischen den beiden Bahn brechenden Erfindungen der Menschheit, nein, nicht dem selbstaufrollenden Firmenausweishalter und dem Hammer mit integriertem Kapselheber, sondern dem Segelboot und dem Automobil. Dabei möchte ich ebenfalls nicht darauf abheben, dass ersteres meist signifikant mehr Einheiten einer beliebigen, gerade verfügbaren Währung zum Besitzwechsel erfordert und letzteres sich durch signifikant mehr blinkende Gizmos auszeichnet. Auch die Tatsache der durchaus unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit soll in dieser Betrachtung nahezu unerwähnt bleiben.

Ebenso interessiert in der nachfolgenden Ausführung weder das ebenfalls Bauart bedingt unterschiedliche Umgebungsmedium, Antriebsaggregat, Leidensfähigkeitspotential des Fahrers, zahlenmäßige Vorkommen bezogen auf die Anzahl der weltweit gezählten Selbstrasierer oder das Manöver mit dem das Objekt an seinem Bestimmungsort mehr oder weniger geschickt abgestellt wird. All diese Punkte mögen mitunter Kristallisationskeime für weitere Glossen dieser Art darstellen, sind für diese Ausführungen aber nicht von weiterem Interesse.

Vielmehr stelle sich der geneigte Leser vor, er fahre mit beiden Gefährten, wohlgemerkt nicht gleichzeitig und auf durchaus unterschiedlichem Untergrund, und komme in ein Gewitter. Die Befindlichkeiten und Adrenalinspiegel in beiden Situationen werden sodann durchaus unterschiedlich sein. Während im Automobil leicht genervt zunächst die Intervallschaltung des Scheibenwischers, dann das Abblendlicht, dann die Lautstärkeregelung des Radios, dann die Nebelscheinwerfer, die langsame Stufe des Scheibenwischers, die Lautstärkeregelung des Radios, die schnelle Stufe des Scheibenwischers, die Nebelschlussleuchte (zur Belustigung der nachfolgenden), das Radio und schließlich das Knie der Beifahrerin bedient werden, untermalt mit leicht beruhigenden Sätzen wie "Nun schau doch mal, es regnet." oder "Bei solch einem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. Gut, dass das Auto hohl ist." sowie "Oh, schau mal der hübsche Blitz, lass uns doch mal zählen, wann der Donner kommt.", sieht die Situation auf einem Segelboot doch mäßig anders aus. Hier wird schon vor dem eigentlich Ereignis "Gewitter" sozusagen antizipatorisch geflucht und eine Unmenge an Hektik verbreitet. Ölzeug muss gesucht, gefunden, spatial isoliert, angezogen, wieder ausgezogen, mit dickem Pullover wieder angezogen, um Stiefel ergänzt und mit Südwester komplettiert werden. Dann müssen Segel verkleinert, geborgen und durch Motorkraft ersetzt und ein letztes Mal die Positionen auf der Karte vermerkt werden. Und wenn der Regen und Wind dann einsetzt und die Blitze über den Himmel zucken, dann entlädt sich die persönliche Angst nur zu oft in einem Ehekrach der Art: "Warum hast Du denn nicht beim Hafenmeister auf den Wetterbericht geschaut? Nie kümmerst Du Dich um so was. Ist Dir alles egal, nicht wahr? Siehst ja, was wir davon haben..." und "Wieso ich? Du musstest Du heute morgen gleich nach dem Frühstück zum Klo und hast dort solange gebraucht, bis ich mit dem Abwasch fertig war. Hättest Du ja auch mal gucken können. Aber nein, Du bist Dir allein wichtig, an uns denkste nie. Siehst ja, was wir davon haben..." Dabei ist die Nervosität an Bord durchaus berechtigt, womit wir schon zu dem elementaren Unterschied zwischen  Boot und Auto zurückkommen, den wir hier als Erörterungsgegenstand betrachten wollen.

Bei einem Boot muss man davon ausgehen, dass Herr Faraday und sein berühmter Käfig wohl gerade auf Urlaub waren, als es erfunden wurde. Moderne Segelyachten bestehen aus fein verschredderten Pfandflaschen (Glasfasern genannt), die nach einer komplizierten Reaktion von ziemlich widerlichen Chemikalie mit abenteuerlich hohem Krebsrisiko, wenn in die Blutbahn gekommen, durchaus fest, um nicht zu sagen steinhart, zusammengehalten werden. Und da dort kein Platz für einen solchen schicken Metallkäfig ist, hat man sich überlegt, aus dem ganzen Metall einen dicken Klops zu gießen und unter den Haufen Mixtur aus Flaschenschrott und Chemiereaktionsschlacke zu schrauben. Da man jedoch meist noch ein wenig Alu überbehielt, entschied man sich daraus einen langen nach oben verjüngenden Stab zu ziehen und diesen zur Krönung des Werkes und durchaus auch im Hinblick auf eine zügige Fortbewegung oben drauf zu stellen. Was man damit jedoch erzeugte, war das meteorologische Pendant eines Tour de France Teilnehmers und einer Tüte Epo. Jeder Durchschnittsblitz eines Nullachtfünfzehngewitters kann einer solchen Einladung nicht widerstehen. Oben leitend, unten leitend und in der Mitte, nun gut, da nicht, aber dafür hocken dort ja ein paar größtenteils aus leitendem Wasser bestehenden Hautsäcke, die sich mit selbstgestrickten Pullis, durchweichtem gelben Ölzeug und albernen roten Südwester umwickeln und sich über die jeweils andere Impotenz, äh, Inkompetenz streiten. Auf dem Weg aus dem Himmel über den Mast in den Kiel und den ersehnten Ozean sind diese eher Wegbereiter, als denn Hindernis. Der erhöhte Spiegel eines bekannten Nebennierenrindenhormons ist daher durchaus verständlich.

Dem Auto dagegen kann ein Blitz herzlich wenig anhaben. Es besteht ja bekanntlich aus Metall, sieht man mal von den Erfolgsmodellen des Berliner Umlandes vor etwa 20 Jahren ab, und dieses bildet genauso bekanntlich den schon erwähnten Faradayschen Käfig, der die Energie des Blitzes auf der Oberseite ableitet, während das Innen unbehelligt bleibt. Wohlgemerkt, bezüglich eines möglichen Ausfalls von Handyempfang und/oder Laptopinternetverbindungen wird in den gängigen Lehrbüchern keine Aussagen gemacht, wahrscheinlich, weil solche nicht minder hervorstechenden Errungenschaften der modernen, ultravernetzten und  hocheloquenten Gesellschaft zu Zeiten von Faraday noch weitgehend unbekannt waren. Wie immer man auch das Risiko eines elektromagnetischen Impulses auf die Funktion des Bordcomputers bewerten mag, der Spiegel des oben erwähnten Hormons ist gering. Er kann höchsten, und dann auch nur extrem kurzfristig, gesteigert werden, wenn man feststellt, dass das Ausweichmanöver vor dem viel zu spät aus der Regenwand auftauchenden LKW bei einer Geschwindigkeit von v=55m/s und einer der eingebauten Verzögerungseinrichtung abverlangten negativen Beschleunigung von a=-10m/s-2 mit einem Strassenwasserstand von u=0.05m und einer mittleren Reifenprofiltiefe von dquer=0.001m absolut inkompatibel ist. Wie dem auch sei, abgesehen von solchen bedauerlichen Spezialfällen der Gleichung, ist eine Fahrt im Auto bei Gewitter als durchaus sicher zu betrachten.

Dass jedoch nicht nur Autos über einen solchen praktischen Faradayschen Käfig verfügen, sondern auch ganze Wohngebäude, ist weniger landläufigen Erfahrung geschuldet, dass einem in einer festen Behausung ein Gewitter nicht viel anhaben kann, sondern ist eher aus der Situation des Clubhauses des TSC abgeleitet. Hier verfügt zumindest die Veranda über einen solchen nicht nur bei Gewitter hochpraktischen Käfig. Diesen bemerkt man nicht nur daran, dass es manchmal in der Veranda so sehr wie im Zoo zugeht, dass man von außen hineinschauend das unbändige Verlangen unterdrücken muss, ein Schild "Bitte nicht füttern! Wilde Tiere können beißen!" aufzuhängen. Vielmehr ist es ja die Besonderheit des Käfigs elektromagnetische Energie jeglicher Form, sei es nun in Form von Unwetter begleitenden Blitzen oder Funksignalen, auszusperren. Und das hat wahrlich unangenehme Folgen für die Situation einer drahtlos operierenden Wetterstation.

Wohl mit viel Wikingerblut á la Hägar der Schreckliche durchflossen, hatten die Planer der Veranda die nicht unbegründete Angst, der Himmel möge ihnen auf den Kopf fallen. Zudem schien der Stahlpreis in der vor-chinesischen Industrialisierungsphase noch moderat gewesen zu sein. Jedenfalls erwarben die wackeren Streiter für einen sonnendurchfluteten Wintergarten nicht nur eine Menge dieses stabilen und leider auch leitenden Werkstoffes sondern verbauten ihn auch mit wachsender Begeisterung in Veranda und Windfang. Dass sie dabei die Möglichkeit einer späteren Funk-Wetterstation nicht berücksichtigten, zeigte sich daran, dass zum einen kein Loch für eine mögliche externe Antenne vorsahen und dass das 868 MHz Band zu dieser Zeit noch weitgehend unbekannt und somit stumm war. Erste Erfahrungen mit der hohen Stahlbaukunst der Clubkameraden machte das Team der Wetterfreaks bei der Installation der Station im Windfang. Hierzu war es zwingend notwendig, einen Kabeldurchgang aus der Schifferstube in den Wandschrank der Veranda vorzunehmen. Mit einem Lächeln griff einer der damaligen Stahlkocher zum Bohrhammer um den Jungspunten mal zu zeigen, wo ebendieser hängt. Nach kurzer Zeit transformierten sich Lachfalten in Schweißperlen und aus Kalksandsteinstaub wurde metallisches Gekratze. "Da müssen wir wohl einen Träger getroffen haben..." wurde argumentiert und die Erschöpfung mit goldenem Glück bekämpft. Der nächste Herr, die selbe Dame und der selbe Träger. Erst ein dritter Anlauf war erfolgreich und verhinderte, dass aus der Wand die in Kalksandstein gehauene Version eines Leerdammers wurde. Doch wir waren gewarnt.

Zunächst jedoch klappte alles noch wunderbar. Die ursprünglich angeschaffte WS3600 funkt auf 436 MHz und hatte guten Empfang. Doch leider zeichnete sich das System durch atemberaubende Unzuverlässigkeit aus, so dass wir auf die qualitativ höherwertige WS500 umstiegen. Ne, was schön: Endlich eine Java-Insel ganz allein für Kai, denn einen Auto-Upload gab es nicht mehr. Und außerdem funkte das Ding auf 868 MHz. Die Frequenz ist ja sehr viel weniger belebt, so dass die Funkverbindung sehr viel besser sein sollte. Ob sie es ist, kann derzeit noch nicht bestätigt werden, etwas anderes lässt sich jedoch mit dem Ding problemlos herleiten, und zwar der Zusammenhang von Wellenlänge und Energie von elektromagnetischer Strahlung. Es ist ja bekannt, dass je kürzer die Wellenlänge, also je mehr Schwingungen pro Minute eine Welle bei fester Geschwindigkeit, also zum Beispiel Lichtgeschwindigkeit macht, desto höher ist die Energie. (E=Hv, wobei H das Planksche Wirkungsquantum ist). Zu kompliziert, also gut: nehmen wir Kai und Jens beim Autofahren. Beide fahren gleichschnell (wie unwahrscheinlich) auf grader Strecke. Kai fährt geradeaus und kommt entspannt an, verbraucht wenig Energie, hat aber auch nur sehr wenige Schwingungen gemacht. Jens fährt sportlich links, rechts, kommt dabei ziemlich in Schweiß und verbraucht entsprechend mehr Energie. Also mehr Schwingungen, höhere MHz, mehr Energie.

Wo war ich? Ach ja, bei der WS500. Diese sendet mit 868 MHz, also brauchen ihre Wellen mehr Energie. Da aber der Sender auf dem Mast auch nur mit 3 AA Batterien versorgt wird, steht diese aber nicht zur Verfügung. Daher wird die "Lautstärke" (Amplitude) der Wellen verringert. Leider ist damit das Signal so leise, dass die Empfangsstation im Windfang abgeschirmt durch Meister Faraday und seinen vermaledeiten Käfig uns mit massiven Empfangsstörungen nervt.

Dabei, und das muss wohl jedem physikalischen Experiment inhärent innewohnen, gilt wie immer das Gesetz von Murphy, welches in der Kurzform besagt, dass alles was schief gehen kann, auch schief geht (oder, wie die Jungs am Pokertisch es mal interpretierten: One Smith&Weston beats four asses). So ist es nahezu der Regelfall, dass Funkaussetzer, die eine Re-Initialisierung der Wetterstation inklusive häufigem Rumgetippe auf dem Touchscreen erfordern, genau dann auftreten, wenn sowohl Kai als auch Nicki gerade den Club verlassen haben und nicht vorhaben in den nächsten Tagen wieder zu kommen. Genauso verhält es sich übrigens auch mit handelüblichen Mignon Batterien: Die Menge der Restelektronen, die gerade nicht mehr ausreichen, um den Wassersensor mit entsprechend großer Sendeleistung auszustatten, dass ihn die Empfangsstation noch empfängt, ist genauso bemessen, dass sie zum exakt möglichst ungünstigste Zeitpunkt erreicht wird (z.B. Urlaub, massiver Regenfall, Muttis Geburtstag etc.). Dieses Phänomen, zunächst als purer Zufall angesehen, kann aufgrund der massiven Häufung nicht mehr ignoriert werden und soll einer intensiven basis-physikalischen Untersuchung unterzogen werden, nicht ohne die Hoffnung, dass damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur universellen Formel der Gravitation der Quantenmechanik verbunden ist.

Kommen wir jedoch zurück zu dem blödsinnigsten aller Käfige und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten der Wetterfreaks. Von ständigen Empfangsausfällen stark gebeutelt, wurden in immer kürzeren Intervallen neue Aufstellungsorte für die Basisstation erkundet. Schließlich fand sich im Sommer des letzten Jahres die Ostwand der Veranda neben der Vitrine. Sicher, ein Otto Protzen musste weichen und das Datenkabel und die Stromversorgung machten die Ecke weder in horizontaler noch in vertikaler Richtung hübscher, aber der Empfang war da und somit waren alle zufrieden. Alle? Nein, ein kleiner Kreis wissenschaftlich unbeugsamer Kameraden wollte schon damals den Fortschritt zugunsten eines hübschen Saals aufhalten. Und mit dem Aufslippen der Boote letzten Herbst setzten sie, unwissend wohl, aber nicht minder perfide, eine 32 Fuß Segelyacht brutal in die Funkstrecke und der Datenübertragung in die Veranda ein jähes Ende. Doch so schnell geben Forschung und Wissenschaft nicht auf. In den heiligen Hallen der forschenden TSC Zunft, den Laboratorien der webbasierten Junior-Scientists, neben den virtuellen Java-Inseln und umgeben von so vielen Datenbanken, dass selbst Bit und Byte nicht wissen, wo sie sich zuerst hinsetzen sollen, wurde die Basisstation auf ihr Ziel, den Mast ausgerichtet und fühlte sich so wohl, dass sie den ganzen Winter über brav Daten sendete. Dabei ließ sie sich weder von einem milden Winter, noch von Kyrill stören.

Das CPU-Idyll wurde jedoch im April jäh beendet, als die Rache von Faraday kam. Mit sämtlichen Schiffen im Hafen standen auch wieder sämtliche (Alu-)Masten und somit sah sich die arme WS500 einem wahren Wald von Störsignalen gegenüber. Die Sicht von schräg oben auf dieses Dickicht verzerrte die Funkwellen zudem, so dass das Ding überfordert den Dienst quittierte. Mit lautem Fluche startete das Team von Wetterfreaks in die Dreharbeiten zu "Odyssee 2007 - Das Jahr an dem wir Kontakt (zum Mast) aufnahmen". Die Position im Saal wurde wieder eingenommen und zeigte sich als ebenso zuverlässig, wie brauchbar, wie umstritten. Trotz intensivem Bemühen war die Stellung unhaltbar und bald wurde zum Rückzug geblasen. Wieder begann die Reise durch Nagellöcher und Klebebänder, bis endlich eine Position im Windfang ausfindig gemacht wurde, die zu einem guten Empfang führt. Das Ding hängt jetzt leicht angekippt an der Eingangstür der Veranda und kann so beide Sensoren, sowohl auf dem Mast, als auch am Ausrüstungssteg empfangen. Die leicht schräge Stellung ist elementar wichtig, wird doch dadurch die Antenne leicht gegen die Hauptabstrahlungsachse der Sender verkippt, so dass die Antennenfläche besser zum Signal ausgerichtet wird. (Jedenfalls ist das die gängige Hypothese, über einen wissenschaftlichen Disput freut sich hier das Wetterfreaks Team.) Zudem erleichtert das Gekippe auch die Ablesbarkeit und reduziert Unfälle im häuslichen Umfeld, wenn sich untergroße Club-Kameraden versuchen auf Barhockern balancierend einen Überblick über die aktuelle Wettersituation zu machen.

Mit der neuen Position hoffen wir, dass wir Faraday, den alten Kerkermeister, inklusive seines Käfigs endlich in einen Kiel eingeschmolzen haben und die vielen treuen TSC-Wetterseiten-Klicker mit verlässlichen Daten versorgen können, damit immer, auch im stärksten Gewitter, eine Frage nicht unbeantwortet bleibt: "Runder Tisch oder Rund achtern?"

Kai Jürgens